Selbstversuch Marathon – Fabienne Hübener, Jahrgang 1966

Selbstversuch Marathon – Fabienne Hübener, Jahrgang 1966
15. Juli 2015 RC | Henrik

Selbstversuch Marathon

RUNNING Company Erfolgsgeschichte Fabienne HübenerVorab: Sport ist nicht mein Ding. Wassertürme hochklettern und Farbbeutel runter werfen (für Frieden oder gegen Atomkraftwerke) gehörte zu den sportlichsten Aktivitäten meiner Jugend. Sport war uncool. Dreißig Jahre später sah ich das immer noch so. Inzwischen Medizinjournalistin, musste ich jedoch im Wochentakt über die gesundheitsfördernde Wirkung des Sports schreiben. Sport helfe gegen frühen Tod, Krebs, Depression, Herzinfarkt, Schlaganfall, Gelenkschmerzen, Alzheimer, Hautalterung. Die Liste scheint endlos. Das ging mir auf den Senkel. Ich nahm einen Beitrag in Angriff, um dem Zusammenhang zwischen Sport und psychischer Gesundheit auf den Grund zu gehen. Sport hilft der Psyche? Nein, dafür gibt es keine Beweise.

ERST DAS BUCH, DANN DIE BAHN

Doch ein Zweifel blieb. Theorie hin oder her, ich könnte es doch mal mit Praxis versuchen. Ich fing an, mit einer Freundin zu joggen. Morgens drei Kilometer zweimal die Woche. Wir fanden uns toll – nachher bei Latte Macchiato und Butterbreze im Café – Joggen an sich jedoch blöd und anstrengend. Dann fiel meine Freundin wegen einer Schulterverletzung aus. Aus Langeweile fing ich an, immer weiter und weiter zu laufen. Irgendwann knackte ich auf der sandigen Reitbahn im Englischen Garten die 15 Kilometer-Marke. Bei Kilometer 16 sackten meine Knie zusammen, Achillessehnen-Entzündung. Irgendwas hatte ich falsch gemacht. In der darauffolgenden Laufpause suchte ich im Internet nach einer Laufschule. Mir war klar, zum Laufen gehört wohl mehr als Laufen: Technik, Dehnen, Balance, Muskelkraft. Außerdem fand ich es immer noch ziemlich öde, alleine zu laufen. Die Laufschule mit der schönsten Webseite war die Running Company. Und dort las ich die Erfolgsgeschichte von Ute Becker, ein Jahrgang jünger als ich, die es von Null zum New York Marathon geschafft hatte. Natürlich wollte ich keinen Marathon laufen, aber der Bericht machte mir die Running Company sympathisch.

ANLAUF NEHMEN

Der erste Treff (dienstags) war der anstrengendste Sport-Tag meines Lebens. Das machen Leute aus Spaß? Ich wechselte in die Anfängergruppe am Mittwoch und dann ging alles recht schnell. Die Gruppe war nett, das Training abwechslungsreich und gerade so anstrengend, dass sich Stolz und Erschöpfung die Waage hielten. Tom jagte uns im Winter den Giesinger Berg rauf, Hanna brachte uns ballettmäßig die Fußtechnik bei, und ich genoss es, wenn wir im Dunkeln die verschneiten Wege entlang der Isar liefen. Laufen machte – nun ja irgendwie – Spaß. Ich tat das nicht der Gesundheit wegen. Klaus, FranziRainer, Stefan, ich kann sie gar nicht alle aufzählen, die Mitläufer, mit denen man sich nach einem guten Training abklatschte. Und dann schnappte ich Worte auf wie „München-Lauf, Halbmarathon, Winterlaufserie“. Wettbewerbe interessierten mich nicht, aber irgendwann wurde ich doch neugierig. Ich lief die zehn Kilometer beim Münchner Stadtlauf. Die Stimmung war überwältigend und ich wusste, bei einem Rennen bleibt es nicht. Zwei Winterlaufserien und zwei Halbmarathons (einer am Gardasee) später war er da, der Wunsch, einen Marathon zu laufen. Ich meldete mich an und quasselte jeden, ob im oder außerhalb des Trainings, davon voll. Ich hatte gelesen, wer schon früh mit seinem Vorhaben angibt, wagt später keinen Rückzieher mehr.

ICH MUSS WEITER

Drei Monate vor dem München Marathon machte ich ernst. Bianca stelle mir wöchentlich einen Trainingsplan zusammen, ich nahm zweimal die Woche am Lauftreff teil und trainierte von Woche zu Woche mehr. Um es kurz zu machen: Es war verdammt anstrengend. Ich lief per GPS quer durch die Pampa im bayerischen Voralpenland, schier endlose Strecken im Nieselregen die Isar hoch und runter, nahm im Urlaub am Comer See morgens um sechs die Fähre, um zur passenden Rennstrecke zu gelangen, joggte während eines Kongresses durch Budapest und das Allerschlimmste: nahm am gefürchteten Dienstagskurs teil. Zwei Wochen vor dem Marathon lief ich die 28 Kilometer beim Monopteros-Lauf. Das war inzwischen kein Problem mehr. Ich hatte enorm an Ausdauer zugelegt. Muskelkater kannte ich auch nicht mehr.

STARKE ERFAHRUNG

Der Marathon fiel mir nach all dem Training erstaunlich leicht. Bei Kilometer 30, dem Kilometer an dem der Mann mit dem Hammer warten soll, lief ich gut gelaunt an erschöpften Gehern vorbei. Ab Kilometer 33 wurde aus Vergnügen Arbeit. Die letzten beiden Kilometer raste ich mit meiner 10-Kilometer-Bestzeit ins Ziel. Meine Freunde feuerten mich vom Fahrrad aus an. Die Krone auf drei Monate hartes Training. Selten habe ich ein Vierteljahr so fokussiert auf ein Ziel zugebracht. Euphorie beim Zieleinlauf? Gab es bei mir nicht. Aber das Gefühl, dass ich eine körperliche und psychische Herausforderung gemeistert habe, macht mich unglaublich zuversichtlich. Wenn mir das gelingt, warum sollten mir andere Ziele im Leben nicht auch gelingen? Selbstwirksamkeit nennt man das in der Psychologie. Das Gefühl, ein Ziel durch eigene Anstrengung erreichen zu können. Mehr davon. Und so saß ich heute, fünf Tage nach dem München-Marathon, 20 Minuten am Beckenrand des Michaelibads und starrte aufs Wasser. Wenn du da jetzt reingehst, steht dein nächstes Ziel fest. Dann kannst du nicht mehr zurück.

Ach ja, für alle, die meinen, man müsse für die Running Company, Tartan-Bahn, Marathon und so weiter ein geborener Sportler und Flitzer sein: Ich bin den Marathon in 4:31:39 Stunden gelaufen. Try running and meet your new self!

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