Schon oft habe ich mir bei meinen Laufabenteuern die Frage gestellt, was ich mir denn da wieder eingebrockt habe. Aber nie war die Frage wohl so berechtigt wie beim Indian Summer Ultra Trail in den Niederlanden. Das Rennen war lang, hart, teilweise wirklich schmerzhaft – aber am Ende wieder eine unvergessliche Geschichte, für die ich von Herzen dankbar bin.
Ich hatte mich für die Strecke von 87 km angemeldet und wollte damit gut 30 km weiter laufen als jemals zuvor in meinem Leben. So richtig wusste ich zwar nicht, wie das gehen sollte, aber ich bereitete mich wie immer hoch motiviert mit einem Trainingsplan von Bianca auf das neue Abenteuer vor. Das Training war auch bis fast zuletzt richtig gut gelaufen, bis mich knapp zwei Wochen vor dem Start doch noch ein lästiger Schnupfen ereilte. Umso unsicherer stand ich daher am 19.10.2019 am Start des Rennens.
Um Punkt 6.00 Uhr setzte sich das mit insgesamt rund 100 Läufern für die 87 km und die 120 km-Strecke überschaubare Läuferfeld in einem recht gemächlichen Tempo in Gang, was mir gut passte. Auch mit der Dunkelheit kam ich gut zurecht, fand sie sogar eigentlich ziemlich toll. Ich merkte aber schnell, dass der Untergrund sehr, sehr abwechslungsreich war und dadurch oft nicht wirklich einfach zu laufen. Es hatte wirklich alles, was Naturboden so bieten kann: fluffige Waldwegelchen, die sich um die Bäume schlängelten; tiefes Laub, bei dem man den Weg überhaupt nicht erkennen konnte; mit verwehten Ästen zugeschüttete Wege, oft auch mit umgestürzten Bäumen, über die wir klettern mussten; naturbelassene Wiesen mit hüfthohem Gras; struppige Heidekrautfelder; eine Sanddüne und fast so etwas wie Strand an Seen; Sandpisten durch Wiesen/Felder; Holzstege über Moorfelder; frisch gemähte Wiesen und Felder, die durch den Regen so vermatscht waren, dass es für die Füße regelmäßig ein Schlammbad gab. Die Gegend war im Wesentlichen einfach naturbelassen und da verliefen mehr oder weniger gangbare Wege durch. Großartig!
So winkelig, wie der Kurs war, wurde es auch nie langweilig, sondern wechselte sich ständig ab. Insgesamt sind wir wohl keine 5 km auf Asphalt oder Beton gelaufen. Wir liefen auch regelmäßig über Weiden mit Kühen, schottischen Rindern oder Pferden, die uns zwar interessiert beobachteten, sich aber zum Glück wenig von den bunten, schnaufenden Menschen stören ließen.
So gut ich gefühlt ins Rennen kam, so schnell wurde es dann aber doch irgendwie schwer. Ab Km 15 wurde es schon zäh und nach 20 km, am ersten Verpflegungspunkt (VP) fühlte ich mich so, wie ich eigentlich gehofft hatte, mich erst nach dem ersten Marathon zu fühlen. Im zweiten Abschnitt merkte ich deutlicher, dass es mit dem Essen mal wieder nicht so funktionierte, wie ich wollte. Ich hatte das Gefühl, alles, was ich oben reintat, blieb im Magen hängen und ging nicht weiter ins System. Ich kämpfte mich so mit Rechenspielchen im Kopf voran, aber war schon etwas frustriert, auch wenn die Km-Zeiten mit 7.00-7.30′ zwar langsam, aber recht konstant waren.
Vor dem 2. VP (nach 42km) hatte ich einen Moment daran gedacht, was wohl wäre, wenn mein Freund, der eigentlich die 120 km laufen wollte, dort säße und ausgestiegen wäre, weil ich meine Erkältung auch noch an ihn weitergegeben hatte. Wäre das eine Verlockung für mich, auch einfach aufzuhören? Als er dann tatsächlich am 2. VP saß und ich ihn zum Glück noch kurz sehen konnte, bevor er zurück zum Start/Ziel fuhr, kam in mir nur das Gefühl auf, dass ich das jetzt umso mehr für uns beide nach Hause bringen musste. Das hat mir ganz viel Motivation gegeben! Gerettet hat mich außerdem die Cola am VP und, dass ich anschließend mein Essen umstellte. Die CliffBlocks, mit denen ich im Training so gut zurecht gekommen war, gingen einfach gar nicht. Zum Glück hatte ich genug Gels dabei, die mich gut über den Tag brachten. Außerdem hatte mein Freund ein anderes Energie-Getränk in seiner Flasche, die er mir gab, mit dem ich auch besser zurecht kam. Im Rennen ist anscheinend doch alles wieder anders, als man denkt.
So ging ich also auf die zweite Hälfte, nicht sicher, was kommen würde, aber irgendwie auch nicht mehr in Zweifel, dass ich das – wann oder wie auch immer – zu Ende bringen würde. Auf der dritten Etappe hatte ich immer nur „Mind over Matter“ im Kopf. Der Körper jammerte, aber der Kopf wollte. Und so ging es. Laufend war ich auch gar nicht viel langsamer geworden, aber ich nahm mir fürs Essen und Trinken bewusster Gehpausen, damit sich das im Magen etwas setzen konnte. So kam ich ganz gut klar.
Am 3. VP (Km 62) habe ich Schuhe und Oberteil gewechselt, was sehr gut tat. Zum Glück tauschte ich nicht auch die Socken und sah daher den einen vermatschten Zeh noch nicht – das hätte mir wahrscheinlich sonst einige Sorgen gemacht. So tat es halt einfach nur weh. Auf der letzten Etappe war ich vorwiegend damit beschäftigt, die perfekt markierte Strecke zu finden, weil ich zum Batteriesparen an meiner Uhr das Tracking abgeschaltet hatte. Das war eine gute Ablenkung für den Kopf. Darüber hinaus rechnete ich mir in allen möglichen Varianten schön, wie weit es noch bis zum letzten VP (Km 82) bzw. bis ins Ziel sein würde. Ich war außerdem beeindruckt festzustellen, dass ich schon lange einen bestimmten Status an Schmerz und Erschöpfung erreicht hatte – es aber auch nicht mehr schlimmer wurde. So zog ich weiterhin nicht wirklich viel langsamer vor mich hin, auch wenn ich die eine oder andere Gehpause nun doch ein bisschen mehr genoss. Mehr als ein paar hundert Meter bin ich aber nie gegangen.
Nach dem letzten VP waren es noch gut 7 km bis ins Ziel. Klingt nicht weit und wir wissen ja, einstellig geht immer :-). Aber inzwischen erschien jeder Km einfach nur ewig. Dafür kam jetzt tatsächlich noch ein bisschen die Sonne raus, nachdem es tagsüber eher grau, aber zum Glück wenig regnerisch gewesen war. So konnte ich zum Beispiel ein letztes Stück durch ein Feld von Heidekraut fast ein bisschen genießen – wenn das Wegelchen nicht so schmal gewesen wäre, dass keine zwei Füße nebeneinander drauf passten, und ich höllisch aufpassen musste, nicht über meine eigenen Füße zu stolpern.
Am Ende war ich ziemlich verunsichert, weil das 85km-Schild (sie hatten alle 5 km markiert) einfach nicht kam. So traute ich dem Braten lange nicht, wann nun wirklich das Ziel kommen würde. Als ich aber endlich einige hundert Meter vorher Dinge vom Morgen wieder erkannte, konnte ich es endlich gehen lassen und für mich gefühlt fast ins Ziel sprinten ;-))…. Kurz vorher empfing mich auch noch mein Freund und ich konnte mein Glück mal wieder kaum fassen, das wirklich – für uns beide – geschafft zu haben :-)!
Die Fakten: nach meiner Uhr bin ich 88,86 km in 12:22.24h gelaufen. Damit bin ich als 25. von 38 Finishern auf den 87km ins Ziel gekommen; als 7. von insgesamt 12 Frauen. Aber das ist für mich eher Nebensache. Ich bin froh und dankbar, so etwas erlebt haben zu dürfen und erneut erfahren zu haben, was der Körper alles zu leisten im Stande ist, wenn man sich vernünftig vorbereitet und vor allem, wenn der Kopf es will.